Venustropfen   

  

 Das Geheimnis der Mata Hari

 Haben Sie schon einmal von dem Begriff „Systemische Familienaufstellung“ gehört? Nein? Das ist ganz interessant, bei der systemischen Familienaufstellung werden die Generationen in einen Bezug gesetzt. Hinter Ihnen steht rechts Ihr leiblicher Vater, links hinter Ihnen Ihre leibliche Mutter, hinter Ihren Eltern in gleicher Anordnung deren Eltern. Von den Vorgänger-Generationen fließt durch Ihre Großeltern und Eltern eine Art positiver Lebensenergie bis zu Ihnen. Haben Sie Kinder, geben Sie diese dahin weiter. 

Eine gewaltige Lücke in meinem Energiefluss war nun endlich geschlossen. Der leibliche Vater hinter mir hatte sein Gesicht bekommen und ist für mich irgendwie greifbar geworden, wenn Sie wissen, was ich damit meine. Schade, dass es so lange gedauert hat, bis ich meinen Vater wahrnehmen konnte. Na jedenfalls habe ich durch die systemische Familienaufstellung gelernt, dass selbst der liebenswürdigste Stiefvater oder eine wirklich nette Stiefmutter an diesen Energielinien nicht Anteil haben können. Das sollte man vielleicht auch bedenken, wenn man ein Kind adoptiert. Diese Kinder sollten wissen, dass da jemand hinter ihnen steht, wohlwollend und Energie spendend, nämlich die eigentlichen Elternteile. 

Was befand sich nun in dem alten Schuhkarton, den mir Frau Dachmann so liebenswürdigerweise mit auf meinen Weg gegeben hatte. Aus Briefen musste ich erfahren, dass es meine Mutter war, die jeden Versuch meines Vaters unterband, Kontakt zu mir aufzunehmen. Als Gegenleistung wollte Sie keine Unterhaltszahlungen, aber sie wollte in Frieden gelassen werden, und die trügerische Familienidylle sollte nicht gestört werden. Über meine Halbschwester erfuhr ich so gut wie gar nichts, nicht einmal der Name oder ein Ort wurde genannt. Ich fand nur ein paar Briefe, die unzustellbar wieder zurückgeschickt worden waren. Am Boden des Kartons lagen ein paar alte Fotos. Auf einem der vergilbten Schwarz-Weiß-Fotos war auf der Rückseite der Name Hans-Werner Dachmann geschrieben, es zeigte einen Mann von vielleicht 30 Jahren an einem Grab stehend. Auf dem Grabstein stand Hermann Rudolf Dachmann, der Rest war zu undeutlich. Über diesen Hermann Rudolf Dachmann fand ich nicht viel, aber es lag eine Sterbeurkunde von Hans-Werner Dachmann in dem Schuhkarton, es musste sich um meinen Großvater gehandelt haben. 

Dann lag da noch eine Kladde mit handschriftlichen Aufzeichnungen, die Art und Weise, wie alles fein säuberlich eingetragen war, erinnerte mich gleich an ein Schiffslogbuch. Es war wohl so eine Art Tagebuch, das allerdings handschriftlich und in Sütterlin verfasst war und von mir erst einmal zur Seite gelegt wurde. Wer konnte heute denn noch Sütterlin lesen, noch dazu von Hand geschrieben? Dabei erinnere ich mich heute, dass an der Volksschule in Porz-Ensen damals neben der lateinischen Schrift auch noch Sütterlin oder wie sie genannt wurde „die Deutsche Sütterlinschrift“ unterrichtet wurde. Einige der Buchstaben, wie das große X und ein paar andere habe ich noch so gelernt. Damit war allerdings auf der Realschule dann sofort Schluss. Schade eigentlich, ich fand die Schrift sehr elegant. Als es in dem Karton nun wirklich nichts Neues mehr zu durchforsten gab, nahm ich mir das Tagebuch vor. 

Es war alt, fleckig, vergilbt und abgenutzt. Es roch nach Tabak. Die Daten, die eingetragen waren, konnten kaum mit meinem Vater in Verbindung gebracht werden, da sie vor dessen Geburt lagen. Wie sollte ich an die Informationen kommen, wenn ich sie nicht lesen konnte. Vielleicht wenn ich einmal bei der Volkshochschule vorbei schaute oder in einer Bibliothek. Konnte ja sein, dass es dort noch ältere Lehrer gab, die Sütterlin zumindest lesen konnten. Vielleicht gab es auch noch alte Notare, die waren ja oft mit alten Testamenten und Urkunden in Kontakt, aber so viel Wind wollte ich dann doch nicht machen. Da fiel mit meine Schulkameradin Heike Laton ein, deren Mutter lebte noch und die war eine alte Deutsch-Lehrerin – heute lange pensioniert – aber vielleicht konnte sie mir weiterhelfen. Adresse raussuchen, anrufen, erklären, sich verabreden und hinfahren. 

Wieder ging ein Wochenende drauf für das Durchforsten meiner Familiengeschichte. Noch war mir allerdings gar nicht klar, welche Fragen sich erst noch aufwerfen sollten. Das Tagebuch meines Großvaters hatte es nämlich in sich und auf verstecktem Pfade gelangte ich eher durch Zufall doch noch an ein Vermächtnis meiner Familie väterlicherseits. Es ist gar nicht so schlecht, manchmal ein bisschen den Sherlock Holmes zu spielen. „Ach das ist sehr interessant“, sagte die betagte Mutter von Heike Laton, „Dein Großvater scheint zur See gefahren zu sein. Dein Opa hat über seine Reisen hier einiges aufgeschrieben. Ganze Seiten sind gefüllt von Seeräuber- und Abenteuergeschichten, die er erlebt haben will. Er hat einen sehr fesselnden Stil, alles niederzuschreiben. Schade, dass Du es nicht selbst lesen kannst, junger Mann.“ Es stellte sich heraus, dass Großvater Hermann Rudolf Dachmann Ende des 19. Jahrhunderts häufig von Europa aus nach den Vereinigten Staaten von Amerika gefahren ist. Allerdings war er weder Kapitän noch Steuermann, sondern ein Schiffskoch. ‚Guck mal an’, dachte ich, ‚der kochte also auch gern. Das liegt also in der Familie.‘ „So ein schlimmer Finger, Dein Opa hatte eine ganze Reihe von Liebschaften, jedenfalls, wenn ich all diesen Einträgen hier glauben darf. Hier guck mal, da schreibt er etwas von einem - wie er sagt - ‚holländischem Meissje‘ einer Margaretha. 

Die will er auf einer Überfahrt im Mai 1897 von Amsterdam nach Batavia kennengelernt haben. Wie er schreibt, ‚heimlich getroffen‘ damit ‚der Alte sie nicht erwischte‘. „Steht da was über das Schiff?“ „Ja klar, es war die SS Princess Amalia.“ Über dieses Schiff brachte ich einiges in Erfahrung: Die SS Princess Amalia, 3.480 Bruttoregistertonnen, wurde am 28. Dezember 1917, 30 Seemeilen nordöstlich von Malin Head, Irland torpediert und sank. Das Schiff gehörte zu dem Zeitpunkt der Easle Oil Transportation Co. Ltd. aus London. Wie ich herausfand, wurde es von einem deutschen U-Boot mit der Bezeichnung U19 ohne Vorwarnung versenkt. 43 Menschen inklusive Kapitän starben bei diesem Untergang. Das Schiff hatte kein langes Leben, es war eigentlich ein Frachter mit wenigen Passagierkabinen und erst 1874 gebaut. Vom Stapel lief das Schiff allerdings unter dem Namen ‚Drumlanrig SS‘. Offensichtlich war allerdings mein Großvater bereits nicht mehr an Bord dieses Frachters, als er torpediert wurde, sonst gäbe es keine Sterbeurkunde aus dem Jahre 1957, er hatte allerdings früher vor dem Umbau auf diesem Schiff als junger Schiffskoch angeheuert. 

Irgendwo hatte ich schon über das Schiff gelesen, aber es wollte mir auf Anhieb nicht einfallen. Da gab es etwas, eine Begebenheit, die mir einmal aufgefallen war. Vielleicht kam ich über Passagierlisten weiter. Mai 1897 SS. Santa Amalia. Es dauerte etwa zwei Wochen, aber dann hatte ich die Bestätigung: Am 1. Mai 1897 war unter den Passagieren eine Margaretha verzeichnet, und zwar eine verheiratete Frau, Margaretha Geertruida Zelle und ihr Gatte MacLeod. Die Frau war Holländerin und der Ehemann, der niederländische Kolonialoffizier Campbell Rudolph John MacLeod. Ich wette, bei Ihnen hat es auch noch nicht KLICK gemacht. Zugegeben, es liegt nicht auf der Hand, weil die Margaretha erst Jahre später ziemlich skandalös in den entsprechenden Häusern in Paris berühmt wurde und leider ein sehr unrühmliches Ende fand. Sie wurde nämlich unter dem Verdacht für die Deutschen spioniert zu haben von den Franzosen füsiliert – sprich standrechtlich erschossen. Nein es war nicht die Rosemarie Nitribitt, die kam ja erst viel später, es war niemand anderes als die bekannte Nackttänzerin Mata Hari, die meinem Großvater da auf dem Dampfer schöne Augen gemacht hatte.

 

 

 

Kleine Eigenwerbung: